Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Mittelalter reloaded - Und es war Sommer!

So, so ein Internet Pranger, also.
Nachdem ein Mensch seine Haftstrafe verbüßt hat, sollte die in § 2 Satz 1 StVollzG als Vollzugsziel festgeschriebene Resozialisierung möglich sein.
Der Mensch sollte also die Möglichkeit erhalten (wieder) ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden.
Wenn man allerdings diesen Menschen im Internet mit Namen, Bild und (verbüßter) Tat an einen sogenannten Pranger stellt, wird genau dieser Prozess nahezu unmöglich gemacht - das Vollzugsziel ad absurdum geführt.
Ich verstehe den (guten) Glauben der hinter dieser Forderung steckt, allerdings bedeutet er ausgeführt einen weiteren Schritt hin zu einem Verdächtigungs-, Präventiv und Denunziantenstaat.
"Die Bevölkerung hat ein Recht darauf zu erfahren, wo sich entlassene Schwerkriminelle befinden. Ich will wissen, wenn ein Vergewaltiger in der Nachbarschaft meiner Enkelin wohnt", sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, dem für ihren pfleglichen Umgang mit Menschen und Bürgerrechten bekannten Holzpranger BILD am Sonntag.
Um es noch mal deutlich zu machen, es geht darum jemandem der seine Strafe verbüßt hat, der Meute zum Frass vorzuwerfen, weil man befürchtet das er eben nicht resozialisiert ist oder niemals sein wird. Man erhofft sich dadurch präventiv eine erneute Straftat zu verhindern. Das ist ein löblicher Ansatz, aber durch keine Fakten gedeckt. Wie erkenne ich einen bisher noch nicht aufgefallenen potentiellen Straftäter bevor er die Tat verübt? Wie kann ich ihn verurteilen für etwas das er noch nicht getan hat, aber möglicherweise tun könnte? Wer verhindert das ich -wem auch immer ein Dorn im Auge bin- und zufällig oder bewusst als möglicher zukünftiger Täter für was-auch-immer vorsorglich eingesperrt werde oder im Internet bloßgestellt?
Wer das Buch "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" kennt und sich an die Terroristenhysterie der 70 und frühen 80 Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert, kann sich noch vorstellen, wie schnell -gerade mit einem Dreckschleudermegaphon wie der Boulevardpresse- jemand unschuldig in die Mühlen des Prozesses gelangen kann.
Aber soweit ist es ja hier noch nicht.
Es soll um freigelassene Schwerkriminelle gehen, bei denen geglaubt wird, vermutlich nicht zu Unrecht, dass von einer Tatwiederholung ausgegangen werden kann.
Doch auch bei diesen Subjekten steht fest, das sie als unschuldig zu gelten haben, solange sie sich nichts zu schulden kommen lassen.
Die Umkehrung des Schuldprinzips hin zu einem Präventivprinzip soll Sicherheit suggerieren, geht aber tendenziell erst einmal in Richtung Beschneidung von Freiheitsrechten.
Und völlig überraschend zeigt sich im home of the free bei unseren amerikanischen Freunden, die das mit einer Art Pranger bereits praktizieren, das es Nebenwirkungen zu geben scheint, die man soooo ja gar nicht voraussehen konnte.
Unter anderem scheinen die Betreiber der Datenbanken die Tendenz zu haben, diese, sind sie erst einmal eingerichtet, auf immer mehr Straftaten auszudehnen. In Maine wurde die öffentlich zugängliche Datenbank erst einmal vom Netz genommen, nachdem dort zwei Sexualstraftäter erschossen wurden.
Aber eventuell sind diese side effects von verantwortlicher Stelle auch durchaus erwünscht.
Und das hehre Ziel der Resozialisierung wird "Durch die Stigmatisierung [...] in jedem Fall [...] verhindert, was eine Wiederholungstat mitverursachen kann, kritisierten Bürgerrechtsorganisationen die Internet-Pranger für Straftäter."
Dann wird das mit dem Pranger letztlich zur Self-fulfilling prophecy und die Bürgerrechteeinschränker verkaufen das dann als Bestätigung ihres Handelns.
Mir ist klar, das es manchmal schwer auszuhalten ist, wenn auch wirklich schlechte Menschen Rechte haben, aber es darf in einem Rechtsstaat keine selektiven Lücken, kein Abweichen von einer klaren Linie geben.
So wie es keine Rechtfertigung für Folter gibt, so darf auch die Vorverurteilung und das Anprangern, aufgrund einer abgebüßten Strafe, nicht Teil dieses Rechtsstaates werden.
Aber eventuell ist der Rückfall in mittelalterliche Strafpraktiken, ähnlich der Scharia unserer Friedensfreunde, und damit das Erodieren von demokratischen rechtsstaatlichen Gesetzen auch nur ein Hinweis auf das nahende Ende einer bürgerlichen Illusion.
Das Zitat des Tages stammt vom alten Lessing und lautet:Das gegründetste Vorurteil wiegt auf der Waage der Gerechtigkeit soviel als nichts.
Ihnen Ihr Blödbabbler

Trackback URL:
https://bloedbabbler.twoday.net/stories/mittelalter-reloaded-und-es-war-sommer/modTrackback